DIZ STADTALLENDORF

Nicht offener Realisierungswettbewerb

Dokumentations- und Informationszentrum Stadtallendorf


Daten

Ort: Stadtallendorf
Jahr: 2023
Fläche: 0,5 ha

Beteiligte
Auftraggeber: Stadt Stadtallendorf
Partner: Bacher Landschaftsarchitekten Berlin
Mitarbeit: Tobias Thom, Frederic Jordi

Auf dem Gebiet des heutigen Stadtallendorf wurde seit 1938 die größte Sprengstoffproduktion Europas aufgebaut. Die mehr als 15.000 Zwangsarbeiter waren in verschiedenen Barackenlagern, u.a. im Lager Münchmühle, einem KZ-Außenlager vom KZ Buchenwald, untergebracht. Das Gebäude des heutigen Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Stadtallendorf wurde 1938/39 als repräsentatives Hauptverwaltungsgebäude dieser Sprengstoffproduktion errichtet und war ein reiner „Täterort“ der sog. „Schreibtischtäter“. 1994 wurde hier das DIZ mit einer Ausstellung im Keller eingerichtet.

Städtebau / Architektur
Grundidee des Entwurfs für die Erweiterung des DIZ ist die Herstellung eines offenen Ortes. Der hölzerne Neubau ist transparent, öffnet sich zu allen Seiten und bildet einen angemessenen zeitgenössischen Ausdruck für Ausstellung und Gedenken. In Anlehnung an die Bestandsgebäude erhält der Neubau ein Dach, das sich zur Straße hin städtebaulich expressiv auftürmt und zum Garten hin abflacht. Der ruhige grüne Garten auf der Rückseite des Altbaus wird zur Stadt hin geöffnet und lädt zu allen Zeiten zum Verweilen und Gedenken ein – im Widerspruch zur Ausschreibung, die eine oberirdische Verbindung von Alt- und Neubau und damit eine Abschottung des Gartens vorsah. Im Entwurf wird der Altbau als reiner NS-Täterort zum einen wegen des Denkmalschutzes und zum anderen vor allem wegen seiner Symbolik nur unterirdisch mit dem Neubau verbunden.

Freiraum
Auf der westlichen Stadtseite wird die aus den 90er Jahren stammende und eine NS-Gestaltung evozierende steinerne Platzgestaltung mit Fahnenmasten, quadratischer Aufmarschfläche und Feuerschale trotz ihrer Fragwürdigkeit als Zeichen eines (vielleicht) unreflektierten Umgangs der späten Postmoderne mit einem NS-Täterort belassen. Der steinerne Platz dient als multifunktionale Fläche für Veranstaltungen, Marktstände oder Gedenkfeiern und wird mit einem Wasserspiel belebt. Umfasst wird das ganze Areal von einer Grünfläche mit Bäumen, die den Platz abschirmen, Schatten spenden und das „grüne Band“ von Stadtallendorf fortführen. Vom Bahnhof aus erreicht man die nördlichen Eingänge von Remise und Altbau und den Neubau über eine großzügige Platzfläche. Im Gegensatz zum steinernen und städtischen Platz lädt dazu der grüne und ruhige Garten auf der Rückseite, in dem Spolien aus der NS-Zeit aufgestellt werden, zum Verweilen und Reflektieren ein.

Architektur / Nutzung
Der öffentliche Ausstellungsbereich wird nicht mehr am Täterort des Altbaus, sondern ausschließlich im Neubau untergebracht. Der Neubau ist ein transparenter, offener und schwellenloser Bau, der zum Begehen einlädt. Zur Gartenseite hin könnte ein mobiler Caféstand aufgestellt werden. Das helle EG mit seinem hohen Dachraum ist flexibel bespielbar und dient für Wechselausstellungen und öffentliche Veranstaltungen. Im dunkleren und gedrückten UG befindet sich die Dauerausstellung, die aus dem Altbau übernommen wird. Vom UG führt ein Wandelgang mit Spolien in den Garten, der als räumliche Metapher vom Dunkel ins Lichte gelesen werden kann. Der Bereich Forschung (Bibliothek, Seminare, Vorträge) befindet sich im Altbau und ist über den nördlichen Altbaueingang und einen dort befindlichen Aufzug erreichbar. Das Archiv befindet sich im UG und im DG des Altbaus und damit im selben Bau wie Bibliothek und Forscherplatz. Der Mitarbeiterbereich liegt in der Remise und ist über einen Durchbruch mit dem Büro des Leiters im Altbau verbunden.

Inklusionskonzept
Einer der Hauptvorzüge des Konzeptes stellt die direkte barrierefreie Erreichbarkeit und Zugänglichkeit des Gartens auch für Menschen dar, die nicht die Ausstellung oder das DIZ besuchen wollen. Diese Offenheit soll zu einer Einbindung des DIZ in die Stadt beitragen. Die nördlichen Eingänge von Altbau und Remise und der Eingang vom Neubau sind alle schwellenlos und barrierefrei erreichbar. Vom Untergeschoss des Neubaus führt eine barrierefreie Rampe direkt in den Garten. Der neue Aufzug im Altbau ermöglicht die barrierefreie Erschließung des Altbaus für die Besucher von Bibliothek, Seminaren, Veranstaltungen und Archiv.

Nachhaltigkeitskonzept
Auf dem Dach des Neubaus werden nach Süden hin Photovoltaikzellen schindelartig in die Schieferdeckung integriert. Das hohe Dach dient mit seiner Kaminfunktion einer natürlichen Be- und Entlüftung des Gebäudes. Aus dem Untergeschoss strömt kühle Luft in das Erdgeschoss, im hohen Luftraum sammelt sich die erhitzte Luft und wird abgeleitet. Im Winter wiederum wird durch die große Verglasung die passive Sonneneinstrahlung genutzt, welche den natursteinernen und Zementestrich-Boden angenehm erwärmt. Das Gebäude soll insgesamt als Lowtech-Gebäude errichtet werden. Das Baumaterial Holz des Neubaus stellt darüber hinaus einen nachhaltigen Baustoff dar.